Ulf Grieger schreibt im Wochenend-Magazin 'Journal' der Märkischen Oderzeitung (MOZ) vom 15./16. Januar 2005:

Der "Tornado" ist ruhiger geworden

Früher war Jochen Krank-Hover ein wilder West-Berliner Szenekabarettist mit Spaß an der Provokation und am Klamauk. Heute lebt er in Biesenthal und unterrichtet in Bad Freienwalde Latein. Die alten Zeiten aber mag er nicht missen / Von Ulf Grieger

Die Lateinschüler des Bad Freienwalder Gymnasiums haben einen ganz besonderen Lehrer. Auf seiner Internet-Seite geben sie ihre Ansichten preis. Vertrauen spricht aus ihren Sätzen, auf das manche Eltern neidisch sein könnten. Wobei der Lehrer bemüht ist, etwas Distanz zu wahren: „Ich selbst bin kein Thema im Gästebuch", warnt dort sein Einspruch. Vor allem interessieren sich seine Schüler für die Jahre von 1977 bis 1981, in denen ihr Lehrer gemeinsam mit den Theaterwissenschaftsstudenten Arnulf Rating und Günther Thews als „Die 3 Tornados" politisches Kabarett machte. „Es war ja auch eine spannende Zeit. Alles wurde in Frage gestellt", erinnert sich Jochen Krank-Hover. „Später hat sich alles wieder stabilisiert. Aber wer weiß? Vielleicht gerät wieder etwas in Bewegung. Es sind neue Generationen da, die die Fragen neu stellen können."

In der Kur- und Kulturstadt fühlt er sich wohl: Jochen Krank-Hover liebt das Bad Freienwalder Stadtbild mit seinem Schloss aus dem 18. Jahrhundert. Foto: GMD/Hannelore Siebenhaar

Im thüringischen Saalfeld, einem mehr als 1100-jährigen Städtchen, das in der DDR vor allem wegen seiner Schokoladenproduktion bekannt war, stand die Wiege des 56-Jährigen. Zwar verließ die Familie bereits 1949 die DDR und zog über mehrere Stationen nach Frankfurt am Main um. Doch die DDR hatte sich dem Heranwachsenden eingeprägt. Da gab es die Großmutter in Saalfeld, die ängstlich das Fenster schloss, wenn der Besuch aus dem Westen die Filmmusik der "Brücke am Kwai" im Radio aufdrehte. "Ich erinnere mich gut an die Fahnenappelle meiner Cousins am ersten Schultag nach den Ferien. Ich war erschrocken, dass die Schüler dort Selbstkritik vor allen andern zu leisten hatten", sagt der heute in Biesenthal bei Bernau im alten Schulhaus wohnende Pädagoge. Solche Erlebnisse prägen.

Jochen Krank, wie er damals hieß, absolvierte die Realschule, erlernte bei den Farbwerken Hoechst den Beruf des Textillaboranten und würde, vielleicht noch immer im Glauben, in der Besten aller möglichen Welten zu leben, heute noch Plastebecher herstellen. Wenn da nicht die Achtundsechziger-Bewegung auch die Hoechst-Werktore erreicht hätte. "Studenten haben Flugblätter verteilt. Sie sprachen von permanenter Revolution, von Proletariat und Überbau. Von der Arbeiterklasse, die ihre Ketten doch nur abzuschütteln braucht. Ich verstand von alledem gar nichts". gesteht Krank. Das war der eigentliche Stachel. Die studentische Losung "Bildung für alle!" übte eine solche Faszination auf den frischgebackenen Facharbeiter aus, dass er sich eines vornahm: Ich will gebildet werden. Am Hessen-Kolleg holte er das Abitur nach. Und abends, in den Kneipen, gingen die Diskussionen weiter. Jochen Krank, der Saxophon, Gitarre und Akkordeon spielte, verdiente sich in der Softrockband „Shatters" neben Geld auch eine Menge an Szene-Erfahrung hinzu.

Der Einstieg in die Welt der Wahrheitssucher begann an der Berliner Freien Universität mit Mathematik und Geschichte und endete nach acht Semestern mit der Enttäuschung, dass sich die so klar und fest gebende Mathematik kaum dazu eignet, die Wahrheit kennen zu lernen. Der nächste Anlauf an der Technischen Uni Berlin, diesmal in Philosophie, schien da viel versprechender. Sogar das Promotionsthema gab es bereits: die marxistische Hegelinterpretation, Titel: Der Einfluss von Hegels Logik auf die Entstehung der Kritik der politischen Ökonomie. Dass dasselbe Thema zur gleichen Zeit an der Berliner Humboldt-Uni ebenso Konjunktur hatte, war dem angehenden Westberliner Akademiker entgangen.

Sein Studium hatte er, wie er sich erinnert, allerdings nicht so sehr auf einen Abschluss hin ausgerichtet. "Wichtig war der Status, Student zu sein und viel zu bewegen." Beim Studentenstreik 1977 gegen den Radikalenerlass schlug dann die Geburtsstunde für "Die 3 Tornados". In Westberlin und der BRD stehen der Kampf für die studentische Mitbestimmung und gegen den Nato-Doppelbeschluss auf der Tagesordnung. Nachdem Arnulf Rating und Günther Thews bereits am 19. Februar 1977 mit drei Stücken gegen den Bau eines Atomkraftwerks Erfahrungen gesammelt hatten, folgte am 25. April der erste gemeinsame Auftritt mit Jochen Krank. Das war in der Kreuzberger Szenekneipe "Godoth".

Von Anbeginn waren die Tornados Teil der linken Bewegung. Was nicht heißt, dass sie plakativ nur das inszeniert hätten, was die Diskussionsredner ohnehin zum Ausdruck brachten. Sie zogen nicht nur gegen Rassisten, Militaristen und Atomkraftwerke zu Felde, sondern auch gegen dogmatische und erstarrende Tendenzen in der linken Szene. Auftrittsorte werden Szenekneipen, besetzte Häuser, Versammlungen, Streiks, Demonstrationen. Über alles durfte gelacht werden, sogar über die Friedensbewegung, wenn deren Vertreter im "Spielregelausschuss" mit dem Polizeipräsidenten die nächste Blockade planen: "Also, wir haben uns gedacht, pünktlich um 15 Uhr an der Absperrung zu rütteln."- "Reicht es Ihnen nicht, wenn Sie entschieden dagegen anblicken?"

Beliebt war der Trick. bekannte Schlagermelodien mit treffsicheren Texten zu munitionieren. So ist aus der Melodie der Kinderfilmserie "Flipper" der größte Tornado-Hit geworden - "Der Kontaktbereichsbeamte": "Ein jeder kennt ihn, er wird schnell intim", heißt es da über das von manchen so gesehene Westberliner ABV-Äquivalent.

Der "ewige 
Student" schaffte 
1986 sein 
Staatsexamen

Bereits 1981 verließ Jochen Krank "Die 3 Tornados". Zum einen, weil es künstlerische Meinungsverschiedenheiten gab. Sollte es mehr in die Richtung Comedy und Klamauk gehen oder war eine künstlerisch anspruchsvollere Form nötig? Er selbst hätte die ruhigeren Töne bevorzugt. Und schließlich war er selbst bereits 33 Jahre alt. Auch für ihn persönlich stand die Entscheidung an, wie die Kollegen lebenslang Kabarett zu machen oder noch einmal etwas Neues zu beginnen und der Bühne zu entsagen. Der "ewige Student" schaffte 1986 sein Staatsexamen nach dem Latein- und Geschichtsstudium. Während der Wendejahre war er in Berlin Lehrer in der Berufsvorbereitung und im Förderunterricht. "Als die Mauer fiel, waren wir zu Hause in unserer Wohnung am Schöneber ger Crelle-Markt. Wir wohnten im 4. Stock. Mit dem Fernglas haben wir auf dass Brandenburger Tor gesehen." Erschrocken nahm er zur Kenntnis, dass mit einem Mal alle Regale in den Supermärkten leer waren. "Wir hatten 1980 einen Farbfilm gedreht, den die Off-Kinos immer zu Weihnachten zeigten. Er hieß ,Geschenke für alle'. Eine satirische Reflexion auf den Schlachtruf "Bildung für alle". Der Film schildert die für utopisch gehaltene Situation, wenn die Grenze offen ist und alle Ostdeutschen ins KaDeWe stürmen. "Der Film hatte sich jetzt erledigt. Es war so gekommen."Auch gerichtliche Auseinandersetzungen gab es. Die Tornados wurden beschuldigt, religiöse Gefühle zu verletzen. Bei einem Krippenspiel wurde die Frage aufgeworfen, wie die Jungfrau zum Kinde kam. Maria: "Du, Joseph, ich hab' meine Tage nicht gekriegt ..." Joseph: Was? Wie heißt der Typ? Dem polier' ich die Fresse!" Mit starker publizistischer Begleitung stellten die Tornados vor Gericht den Antrag, die Zuständigkeit ans Jüngste Gericht zu verweisen. Erst in dritter Instanz wurden sie freigesprochen.

Über alles durfte gelacht werden: "Die 3 Tornados" 1981 mit Günther Thews, Jochen Krank und Arnulf Rating (v.l.) bei einem Auftritt in Berlin-Kreuzberg. Foto: Peter Gruchot

Die nächste Wendung im Leben des Jochen Krank: Jedes Wochenende besucht er die Dörfer rings um Berlin und schwelgt in Erinnerungen: "Alles war noch so ursprünglich. Die Alleen, die alten Häuser: Für uns galt es, eine terra incognita zu erobern", erinnert er sich an die Zeit, da er sich auf die Erinnerungsreise machte und nach einigem Zögern eine Lateinlehrerstelle am Bad Freienwalder Gymnasium annahm. Seine Frau Monika hatte bereits eine Stelle im Hennigsdorfer Bildungszentrum, einer Auffangstation für entlassene Stahlarbeiter, erhalten. Jochen Krank-Hover - so heißt er seit seiner Heirat - setzte auf Bad Freienwalde, die alte Kreis- und Kurstadt mit dem Gilly-Schloss und Rathenauerbe. Und obwohl sich in Ostdeutschland nicht alles so rosig entwickelt hat, wie von manchem erwartet, bereut der einstige "Tornado" es nicht, in den Osten gegangen zu sein. Er ist stolz auf seine Erfahrungen: "In unserem alten Bekanntenkreis gibt es welche, denen die Mentalität der Ostdeutschen fremder geblieben ist als die in der Türkei."

Für mehrere Schülergenerationen ist "Kränki" ein ganz spezieller Lehrer geblieben. Wenn sie in Amerika oder Australien als Austauschschüler sind, ist der Kontakt mit seiner Home-Page im Internet auch Heimatpflege geworden. "Ich habe keine Berührungsängste mit meinen Schülern. Man muss informell mit ihnen in Kontakt bleiben", begründet er seine offen gestaltete Home-Page. Dass da auch mal Sätze stehen, wie "Na, Ihre Klausur gerade eben hätten sie sich auch sparen können!", tut dem keinen Abbruch. Schüler-Projekte wie "Law and order", in denen die Rechte der Lehre und Schüler analysiert werden, tragen dazu bei, die Schüler selbstbewusster zu machen. Und mit einem Punkt schließt sich auch der Kreis zum jungen Laboranten, dem am Werktor von Hoechst einst die geistige Hinterwälderschaft bewusst wurde: "Ich rate meinen Schülern immer, Bildung als persönliche Bereicherung anzusehen. Leute, studiert!"

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